Sonntag, 12. April 2020

Cusanits Methode (2): 93 Briefe

"Im strengsten Sinne episch und rhapsodisch", schreibt Benjamin: also breit, ausführlich und detailreich auf der einen und kurz, flott, die Themen nur anstippend, auf der anderen Seite. Das scheint sich zu widersprechen, ist aber genau das poetologische Programm, dem Kenah Cusanit in diesem Roman folgt. Nehmen wir zum Beispiel die Briefe!
Die Autorin hat für ihr Projekt wochenlang im Archiv des Vorderasiatischen Museums in Berlin gesessen und den Nachlass Robert Koldeweys studiert: viele hundert Briefe und Dokumente. Zur Verarbeitung der umfangreichen und thematisch diversen Informationen denkt sie sich einen raffinierten Trick aus, und damit sind wir wieder am Anfang des Romans: Koldewey sitzt krank in seinem Arbeitszimmer, guckt aus dem Fenster, langweilt sich und greift nach dem großen Stapel Briefe, die auf seinem Tisch liegen. Er geht sie noch einmal durch. Auf den Seiten 43-67 wird aus jedem der sage und schreibe 93 Briefe ein kurzer Auszug erwähnt, oft ist das nur ein einziger Satz. Für uns als Leser entwickelt sich daraus ein Panorama der Arbeits- und Lebenswelt Koldeweys: ausführlich und kurz, thematisch höchst unterschiedlich und sehr aufschlussreich! Na, bitte!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen