Samstag, 11. April 2020

Cusanits Methode (1): eine archäologische Erzählweise

Am Ende des Gesprächs mit Dennis Scheck (Blog-Post vom 5. April) hat Kenah Cusanit ihre Erzählmethode mit der Arbeitsweise der Archäologen verglichen: man müsse ja nicht unbedingt im Erdboden herumgraben, sondern könne das auch "in den Höhlen der Zivilisation" tun. Und so ist "Babel" in doppelter Hinsicht ein archäologischer Roman: vom Thema her und von der Erzählweise her. Die Autorin baut den Roman in verschiedenen Schichten auf, die jede für sich eine neue Sichtweise auf das Ganze ermöglichen. Auf diese Weise erhalten wir neben dem Blick in eine zweieinhalbtausendjährige Vergangenheit ein vielfältiges Bild der zwei Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg in Babylon und auch in Berlin. Dort, in der deutschen Reichshauptstadt, sitzen die Vorgesetzten und Geldgeber, die Bewunderer und Neider, die Kollegen und Konkurrenten von Koldewey. Und der Kaiser selbst, der sich sehr für das Projekt interessierte.
Das Gesamterzählfeld ist viel zu groß, als dass Cusanit es bewältigen könnte. Sie muss Punkte bestimmen, an denen sie zu "graben" anfängt. Im Motto zum zweiten Teil (S.161) zitiert sie eine Passage aus Walter Benjamins kleiner Schrift "Berliner Chronik (1932): 
"Und gewiß bedarf es, Grabungen mit Erfolg zu unternehmen, eines Plans. Doch ebenso ist unerläßlich der behutsame, tastende Spatenstich ins dunkle Erdreich und der betrügt sich selbst um das Beste, der nur das Inventar der Funde und nicht auch das dunkle Glück von Ort und Stelle des Findens selbst in seiner Niederschrift bewahrt. Das vergebliche Suchen gehört dazu so gut wie das glückliche und daher muß die Erinnerung nicht erzählend, noch viel weniger berichtend vorgehn, sondern im strengsten Sinne episch und rhapsodisch an immer andern Stellen ihren Spatenstich versuchen, in immer tieferen Schichten an den alten forschend."
Das gibt uns wertvolle Hinweise für den Umgang mit diesem Roman. Übrigens spricht auch Benjamin hier nicht vom Erdboden, sondern vom Graben in der Erinnerung. Es wird Zeit für konkrete Beispiele!

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