Mittwoch, 15. April 2020

Vergangenheit in der Gegenwart: Fotografie

Das Fotografieren ist für die Arbeit des Grabungsteams von großer praktischer Bedeutung: Koldeweys Assistenten machen Aufnahmen von den hunderten oder tausenden mit Keilschriftzeichen versehenen Tontafeln. Eine ganze Bibliothek von Nebukadnezar tut sich auf!
Anders als die 500 Kisten mit glasierten Ziegeln, die seit Jahren im Expeditionshaus gelagert wurden, konnten diese Fotos einfach per Post nach Berlin geschickt werden, wo die Philologen begierig auf sie warteten.

Doch die Fotografie gehört auch zu der Gruppe synästhetischer Künste, die die Schreibmethode Cusanits bilden. Ich bin mir nicht sicher, ob der historische Koldewey wirklich ein so intensives philosophisches Verhältnis zur Kunst und Technik des Fotografierens gehabt hat, wie es bei der Romanfigur der Fall ist (vgl. S. 25-29 und 37-41). Dort sinniert Koldewey über ein Foto mit Schafen und Kindern am Euphrat, das ihm in die Hand fällt:


Cusanit beginnt den ersten Teil des Romans mit einem Motto von Roland Barthes aus seinem Buch "Die helle Kammer": "Von nun an ist die Vergangenheit so gewiß wie die Gegenwart, ist das, was man auf dem Papier sieht, so gewiß wie das, was man berührt." 
Auf jedem Foto reicht ein Moment der Vergangenheit in die Gegenwart hinein. Vergangenheit wird gegenwärtig: Dasselbe geschieht ja bei der Ausgrabung. Das alte Babylon kommt wieder ans Licht der Welt! Nicht zufällig wird im Roman der Grabungsschacht einmal als "Dunkelkammer" bezeichnet (S. 185). Babylon wird "entwickelt".
Diese Überlegungen am Anfang sind eng verbunden mit dem, was am Ende über das Verhältnis von Berlin und Babylon gesagt wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen